Mittwoch, 7. Oktober 2020

Trivisa: Begierde, Feindschaft und Unwissen – die drei geistigen Grundübel menschlicher Existenz nach der Betrachtungsweise des Buddhismus

 

Trivisa: Begierde, Feindschaft und Unwissen sind in der Lage die Psyche des Individuums nachhaltig zu vergiften
Die drei geistigen Giftstoffe – Begierde, Feindschaft und Unwissen – fordern das Individuum tagtäglich heraus.

Die drei mentalen Gifte, Trivisa, – Begierde, Feindschaft und Unwissen – verursachen nach der Lehrmeinung des Buddhismus lebenslang existenzielle Konflikte im menschlichen Subjekt. Die drei seelischen Übel beeinflussen, bedingen oder verstärken sich gegenseitig, beispielsweise die Ignoranz, das fehlende Wissen, formt das unheilvolle Fundament für unberechtigte Vorurteile gegenüber Individuen, die bescheiden andere Meinungen vertreten, bewirkt hierdurch den Hass und die Intoleranz wider Andersdenkenden. Ein weiteres Vorzeigebeispiel: Die Quelle für die stetige Gier, das Haben-wollen nach Arthur Schopenhauer, in letzter Konsequenz entspringt der Egoismus nach der buddhistischen Ansicht der fehlenden Erkenntnis von Anatman, (siehe auch Ostasiatische Philosophie - Buddhismus - Trilaksana: die Merkmale der menschlichen Existenz), dass alle bedingten Strebungen, so auch das Ich, nicht permanent sein können.

Die lindernden Heilmittel zu Trivisa – Habgier, Missgunst und Unwissenheit – formen die vier Brahma-Zuständen, Brahmavihara. (siehe auch Zunehmende Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Religion in der westlichen Weltanschauung?) Äquivalent Brahmavihara wirkt Trivisa nach der buddhistischen Lehre rückbezüglich. Liebenswürdigkeit, Anteilnahme, Neidlosigkeit und Bedachtsamkeit bieten dem Ausübenden einen mentalen Gewinn, entsprechend entfacht das egoistische Verlangen von Triebhaftigkeit, Feindseligkeit und Engstirnigkeit maßgeblich das persönliche Leiden, Duhkha, gestaltet den Auslöser von Samsara.


Sonntag, 20. September 2020

Deduktion versus Induktion, Logik versus Kausalität respektive Vernunftwahrheit versus Tatsachenwahrheit

Deduktion und Induktion: verschiedene Arbeitsprozesse zur Gewinnung von Wissen.

Die zwei wissenschaftlichen Arbeitsmethoden – Deduktion und Induktion – auf der Grundlage logischen Schließens einerseits und der Anwendung des Prinzips der Kausalität andererseits zur Aufdeckung von Vernunftwahrheit und Tatsachenwahrheit.

Was heißt Wahrheit? Wahrheit ist die Bewertung einer Aussage, dass der Inhalt der Aussage mit der objektiven Realität übereinstimmt, dass die Proposition eine Faktizität spezifiziert.

Zwei grundverschiedene Methoden – die Deduktion und die Induktion – gestalten die intellektuellen Denkmuster zur wissenschaftlichen Wahrheitsfindung. Die Deduktion setzt auf ein existierendes Axiomensystem oder eine Theorie auf. Beispielsweise formen die fünf Postulate und sechs Axiome des Euklids eine theoretische Basis zur gleichnamigen Geometrie aufgrund dessen Behauptungen wie der Satz des Pythagoras oder der Satz des Thales unter Zuhilfenahme der Logik (Aussagenlogik) bewiesen werden können. Die Beweise garantieren wahre Behauptungen, die Theoreme, sie repräsentieren ortsunabhängige und zeitunabhängige, mithin universale Erkenntnisse, die jeder mathematisch Interessierte unabhängig von Ort und Zeit nachvollziehen kann. Derartige Wahrheiten bezeichnen wir seit der Namensfindung durch Gottfried Wilhelm Leibniz: Vernunftwahrheit.

Demgegenüber beginnt der Induktionsprozess für den Wissenschaftler, insbesondere den Naturwissenschaftler, mit der gezielten Anhäufung von Beobachtungs- oder Messdaten, welcher er einer sorgfältigen Datenanalyse unterziehen muss, die objektiv oder vorurteilsfrei erfolgen sollte. Bereits daselbst entfaltet sich der erste ernsthafte Konflikt, denn eine vollkommen vorurteilsfreie Herangehensweise verhindert die Bildung einer Hypothese, nach der Sichtung des Datenmaterials eine Vermutung zu erwägen, von beobachteten Einzelereignissen auf eine allgemeine Gesetzmäßigkeit zu induzieren. Das Prinzip, das bei der Auswertung der Daten zur Inanspruchnahme gelangt: das Prinzip der Kausalität. Der Analyst qualifiziert die Ereignisse nach Ursachen und Wirkung, versucht Ursachen mit Wirkungen eindeutig zu verknüpfen. Ist auch diese anspruchsvolle Hürde bewältigt, verbleibt das prinzipielle Problem der Induktion.

Mittels der Methode der Induktion extrapoliert der Forscher aus unumstrittenen Begebenheiten in der Vergangenheit, Messdaten, und prognostiziert Erwartungen, die Hypothese, in die Zukunft. Welche Rechtfertigung besitzt er dafür?

Die Naturphänomene ändern sich keinesfalls sprunghaft, lautet die klassische Entgegnung. Offenbart das Experiment oder die Observation unzweifelhaft einen kausalen Zusammenhang in der Vergangenheit, so setzt sich diese Verbindung in der Zukunft fort. Welche Rechtfertigung markiert die Stetigkeit der Natur?

Dass die Naturerscheinungen stetig verlaufen, kann der Naturwissenschaftler ausschließlich aus der Analyse der Vergangenheit gewinnen, darauffolgend verweilt alleinig die Möglichkeit die Erhaltung in der Zukunft durch Extrapolation zu vermuten, also letztlich ebenfalls durch Induktion.

Zusammengefasst zeigt sich das Problem der Induktion folgendermaßen: Zuallererst erschließt ein Wissenschaftler eine neuartige Hypothese vermöge Induktion. Sollte er diese zweitens vermittels der Stetigkeit der natürlichen Begebenheiten bekräftigen wollen, so wählt eine Verteidigung, die drittens automatisch die Beständigkeit gleichermaßen durch Induktion begründet, er unterliegt einem Zirkelschluss.[1] 

Anmerkungen

  1. siehe die Kapitel 1 und 2 aus [10]

Mittwoch, 2. September 2020

Zunehmende Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Religion in der westlichen Weltanschauung?


Brahmavihara: Die gezielte, meditative Auseinandersetzung mit Freundlichkeit, Wohlwollen, Mitfreude und Gleichmut, den vier Brahma-Zuständen, entfacht nach Ansicht der Buddhisten die Beherrschung der Sinne.

In der westlichen Hemisphäre beherrscht die Subjekte eine dualistische oder kartesische Betrachtungsweise des Daseins: Logik, Mathematik und die empirischen Disziplinen von den Naturwissenschaften bis zu den Sozialwissenschaften, auf der einen Seite, bestimmen die objektive Wirklichkeit, andererseits konstituieren Religionen, ersatzweise ideologischer Dogmatismus den Sollzustand menschlichen Zusammenlebens, einer subjektiven Wirklichkeit oder Ethik. Die objektive Urteilskraft, die Vernunft, entscheidet über eine richtige oder falsche Bewertung einer Erkenntnis, die subjektive demgegenüber kategorisiert in gut oder böse. Diese strenge Zweiteilung des Daseins in eine objektive und subjektive Wahrheit offenbart insbesondere durch den technologischen Fortschritt einen zunehmenden Konflikt zwischen den beiden Ansprüchen auf Wahrheit. Demgemäß prognostizierte der Physiker W. Pauli in einer Diskussion mit seinen beiden Kollegen, P. Dirac und W. Heisenberg, bereits im Jahr 1927: „[…] Gleichnisse und Bilder der bisherigen Religion auch für das einfache Volk keine Überzeugungskraft mehr besitzen, dann wird, so fürchte ich, auch die bisherige Ethik in kürzester Frist zusammenbrechen, und es werden Dinge geschehen von einer Schrecklichkeit, von der wir uns jetzt noch gar keine Vorstellung machen können.“[1] 

Das ostasiatische Weltverständnis kennt derlei strikte Trennung in Objektivität und Subjektivität mitnichten. So schreibt der Philosoph und Kulturwissenschaftler V. Zotz über den Erlösungsweg im Buddhismus: „Nicht Glaube oder Hoffnung entscheiden auf dem Weg zur Erlösung, sondern allein das richtige Vorgehen.[…] Ebenso führen die geeigneten Methoden zur Erlösung, wobei der Glaube daran untergeordnete Bedeutung hat.“[2] Die Korrektheit der Methode beweist die Praxis der Kontemplation, die Meditation, insofern repräsentiert Buddha Siddhartha Gautama einen Verfechter der empirischen Methode in Anwendung auf dem Gebiet der Philosophie oder Religion, vorbehaltlich der Betrachter will im Buddhismus eine Religion konstatieren.

Ethisch richtiges Handeln verkörpert für den Buddhisten eine maßgebliche Komponente der Herangehensweise, des Edlen Achtfachen Pfades, um in den Zustand der Erlösung, der Selbstbefreiung, zu gelangen, d.h. ethisch richtiges oder gutes Handeln erzeugt für den Akteur, den Handelnden, einen Nutzeffekt. Allerdings illustriert das Paradox der Selbstbefreiung die Herausforderung, dass die Handlung, ethisch richtiges Handeln, ohne eine Absicht erfolgen muss, ansonsten erweist sie sich als kontraproduktiv, bestärkt die Selbstbezogenheit und dadurch die Gier. Zur gedanklichen Therapie gedeihen die vier Brahma-Zustände, Brahmavihara: Freundlichkeit, Wohlwollen, Mitfreude und Gleichmut, die dem Meditierenden als Fundamente dienen, helfen die drei geistigen Grundübel der menschlichen Existenz: Gier, Hass und Ignoranz zu überwinden, das Wollen ohne Vorsatz zu erlernen.

Anmerkungen

  1. siehe Kapitel: 7. Erste Gespräche über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion (1927) aus [1]

  2. siehe Kapitel: Der Weg zur Erlösung aus [4]

Montag, 17. August 2020

Ostasiatische Philosophie - Buddhismus - Trilaksana: die Merkmale der menschlichen Existenz

 

Trilaksana: Anatman, Anitya und Duhkha formen die Merkmale der buddhistischen Existenz


Trilaksana: das Schema des Daseins, das Leben, betrachtet nach Auslegung des Theravada Buddhismus, zusammengefügt aus den elementaren Bausteinen: Anatman, Anitya und Duhkha.


Die elementaren Bausteine des Lebens, nach Auffassung des Theravada Buddhismus, versucht die vorangestellte schematische Darstellung zu illustrieren. In anderen buddhistischen Strömungen, etwa dem Mahayana Buddhismus, kann die Anzahl und die Zusammensetzung variieren. Dieses Faktum offenbart die charakteristische Schwankungsbreite bei der Interpretation der Lehren des ersten Buddha, Siddhartha Gautama, insofern die verschiedenen Schulen bereits in grundlegenden Überlegungen eine reichhaltige Vielfalt wiedergeben.

Der Sinngehalt der Begriffe des Buddhismus beeindruckt durch eine hochgradige Mehrdeutigkeit. Dieses polyseme Charakteristikum der mystisch rationalen Auseinandersetzung mit der Existenz forciert dazu die Transkriptionen des Sanskrits oder des Palis zu nutzen, um den Lesenden keinesfalls mit diskussionswürdigen Übersetzungen in die Verirrung zu leiten, so gesehen handelt es sich mitnichten um eine intellektuelle Überflüssigkeit.

Der Hinduismus erkennt in jedem Dasein eine Form des Atman, wohingegen der Buddhismus dieses Atman bestreitet, stattdessen das Anatman postuliert. Anatman wird häufig mit „Nicht-Ich“ übersetzt, was zu Schwierigkeiten führen muss, denn für den Buddhisten resultiert ebenso jede Anstrengung und Bestrebung oder das Resultat jeder Anstrengung und Bestrebung, Samskara, in Anatman. Eine Deskription könnte hiermit darlegen: Anatman meint in einer abstrakten Form „ohne Substanz“ oder „ohne wahrhaftige Wirklichkeit“.

Die zweite Vokabel, Duhkha, bezeichnet die erste der Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus: das Leiden oder die Unzufriedenheit der Kreatur. Einer groben Vereinfachung folgend, sortiere ich Duhkha in drei Kategorien ein:
  1. mentales und somatisches Leiden,
  2. Kummer durch den Prozess der Veränderung, etwa dem Erkennen der Unbeständigkeit von Zufriedenheit oder der Empfindung von Glück,
  3. Pein aus der Erkenntnis jede Form der Existenz ist flüchtig und besitzt keine Substanz (Anatman).
Der dritte Ausdruck, Anitya, umschreibt die Eingebung, dass alle zusammengesetzten Objekte, so die biologischen Kreaturen, in keinster Weise von Dauer sein können, sie entstehen, verändern sich stetig, um zuletzt zu zerfallen.

Samstag, 8. August 2020

Theodizee - die Rechtfertigung eines allmächtigen Gottes, der das Böse in der Welt zulässt


Das Flussdiagramm versucht, das Problem der Theodizee zu veranschaulichen: unter der Prämisse des Vorhandenseins eines allmächtigen, allwissenden und unendlich gütigen Gottes entsteht die legitime Frage: Warum existiert das Böse und das Übel auf der Welt?

Ist Gott allmächtig, kann er keinesfalls allwissend und gütig zugleich sein, denn das Böse treibt sein Unwesen in der Welt. Ist Gott allwissend, kann er unter keinen Umständen allmächtig und barmherzig gleichzeitig sein, denn das Übel haust allerorten. Ist Gott grundgütig, kann er des Weiteren niemals allmächtig und allwissend zeitgleich sein, denn Kriege und Naturkatastrophen halten reichlich Ernte immerfort unter den Kreaturen des Daseins. Zusammengefasst lautet das Resümee: ein allmächtiges, allwissendes und gnädiges Gotteswesen fehlt im Diesseits.

Die Theodizee rechtfertigt – behandelt in Form dieser Vokabel erstmals von Gottfried Wilhelm Leibniz, einem Mathematiker, Logiker, Philosophen und Zeitgenossen des Mathematikers und Physikers Isaac Newton –, die Gerechtigkeit und damit das Dasein eines allmächtigen, allwissenden und grenzenlos barmherzigen Gottes, etwa dem christlichen Gott, trotz der Existenz des Bösen.

Gott erschuf die beste aller möglichen Welten, so behauptete Leibniz, indem er das Böse und das Übel permittiert, kann das Individuum die Willens- und Handlungsfreiheit vollziehen. Gott schenkt seinen Geschöpfen durch das Vorhandensein des Bösen die Möglichkeit der Selbstbestimmung.

Eine literarisch ausgreifende Darlegung der Theodizee entdeckt der interessierte Lesefreund in "Doktor Faustus" von Thomas Mann. Dortselbst entscheidet Luzifer in verschiedenartigen Menschwerdungen das Geschehen mit, doziert etwa der Theologieprofessor, mit dem me­phis­to­phe­lisch klingenden Namen Schleppfuß, vor seinem studentischen Auditorium: „Das Böse trug bei zur Vollkommenheit des Universums, und ohne jenes wäre dieses nicht vollkommen gewesen, darum ließ Gott es zu, denn er war vollkommen und mußte darum das Vollkommene wollen, – nicht im Sinne des vollkommen Guten, sondern im Sinne der Allseitigkeit und der wechselseitigen Existenzverstärkung.“

Freitag, 17. Juli 2020

Scientific method - die empirische Methode: Prognosen einer Theorie durch experimentelle Resultate, Tatsachenwahrheiten, falsifizieren

Seit den Überlegungen des Juristen, Mathematikers, Physikers und Philosophen, des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, einem Zeitgenossen Isaac Newtons, bietet es sich an, die Wahrheit in zwei Kategorien zu klassifizieren: die Tatsachenwahrheit und die Vernunftwahrheit, eine mögliche und eine garantierte Wahrheit.[1] (siehe auch Deduktion versus Induktion, Logik versus Kausalität respektive Vernunftwahrheit versus Tatsachenwahrheit) Erstere, ebenfalls als kontingente Wahrheit bezeichnet, kann eine herrschende Autorität allzu sehr in die Versuchung verführen, sie zu instrumentalisieren, umzudeuten, zu verfälschen oder gar vollumfänglich zu negieren, mithin zu zerstören. Mit dem zweiten Typus, der Vernunftwahrheit, hat eine totalitäre Obrigkeit größere Schwierigkeiten zu überwältigen. Falls ihr es gelänge, etwa den Satz des Pythagoras aus allen verfügbaren Quellen zu entfernen, könnte dennoch ein schlauer Kopf, die Vermutung postulieren und den Beweis führen, das heißt die unterdrückte Wahrheit wieder ans Tageslicht fördern. Die Unterdrückung der Vernunftwahrheit in Gänze ist insofern unmöglich, während die Tatsachenwahrheit immer der Gefahr ausgesetzt sein wird, dass das Individuum ihrer nicht habhaft werden kann. „Wir können uns durchaus vorstellen, dass die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft von Galilei bis Einstein nicht stattgefunden hätte, wenn die Machtvollkommenheit der katholischen Kirche absolut gewesen wäre“, behauptete Hannah Arendt,[2] korrespondierend galt für sie: „die Tatsachenwahrheit ist von Natur politisch“, um daraus das Resümee zu ziehen: „Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“[3] Ein eindrucksvolles literarisches Beispiel entdeckt der Leser in George Orwells Dystopie "1984". Die Mitarbeiter des Wahrheitsministeriums beschäftigten sich damit die historischen Tatsachenwahrheiten an die jeweilige aktuelle politische Entwicklung anzupassen, Dokumente werden gefälscht oder vernichtet, so dass authentische Unterlagen, zeitgeschichtliche Zeugnisse, fehlen, die Geschichtsschreibung der politischen Willkür unterliegt, die Erinnerung und die Kultur liquidiert ist: „Die Vergangenheit war ausradiert, und dann war sogar die Tatsache des Radierens vergessen, die Lüge war zur Wahrheit geworden.“ [4] Zwei Beweggründe verortet Orwell in der Manipulation der Historie. Die Autorität muss den Bürger zunächst von dem dominierenden Gegenstand der überprüfbaren Realität, der kontingenten Wahrheit, abtrennen, welcher sich in der Vergangenheit manifestiert, infolgedessen fällt die Vergleichsmöglichkeit mit den gegenwärtigen Lebensbedingungen weg, der Staatsbürger erduldet alsdann seine Situation gehorsamer. Misslingt der Vergleich mit qualitativ anderen Verhältnissen, hat die Autorität die Voraussetzungen geschaffen, kann sich zweitens mühelos als unfehlbar und unangreifbar inszenieren.[5]

Empirische Wissenschaften, beispielsweise die Naturwissenschaften, erringen Erkenntnisse durch die Beobachtung der natürlichen Gegebenheiten oder vermöge einer definierten Fragestellung an die Natur. Letzteres, das wohldurchdachte Experiment, erhielt, beginnend mit Galileo Galilei und seinen Fallexperimenten, Einzug in die Physik, entwickelte den Grundstein zur modernen Experimentalphysik. Einerseits muss die Messapparatur mit dem Gegenstand der Messung in Wechselwirkung stehen, ansonsten misslingt ein Messergebnis unweigerlich, andererseits taucht die Frage nach der Verfälschung oder der Echtheit des zu messenden Effektes auf. In der Quantenmechanik, der abstrakten Betrachtung des Aufbaus der Materie – im Gegensatz zur klassischen Physik, der makroskopischen Betrachtungsweise –, kann die Wechselwirkung zwischen Apparatur und Objekt der Messung prinzipiell mitnichten beliebig verringert werden, ein Naturgesetz formuliert durch das Prinzip der Unschärfe nach Heisenberg. Diese fundamentale Naturerscheinung etablierte, dass die Intuition des Betrachters, resultierend aus der gewöhnlichen Alltagswelt, zur Illusion degradiert ist. Die Essenz der quantenmechanischen Erkenntnis: die Logik der Quantenmechanik, letztlich der Bausteine unserer Existenz, ist unvereinbar mit der klassischen Logik.

Anmerkungen

  1. Seite 52-53, [11]

  2. Seite 14, [9]

  3. Seite 23, [9]

  4. Seite 113, [6]

  5. Seite 314-315, [6]

Montag, 17. Februar 2020

Buchvorstellung: Ladyboy ein Roman von Sigo R. Schömel

Die zweite Auflage meines Romans: "Ladyboy: Existenz – Balancieren zwischen den Extremen" ist als Paperback (480 Seiten) seit dem 17.02.2020 auf amazon.de erhältlich.

Taschenbuch: Ladyboy (Sigo R. Schömel)
E-Book: Ladyboy (Sigo R. Schömel)



Inhaltsangabe:
Der Ich-Erzähler, ein Naturwissenschaftler Mitte der Fünfziger, der gesellschaftlichen Banalität in Mitteleuropa entwachsen und überdrüssig, der stupiden Fokussierung auf wirtschaftlichen Erfolg und sinnentleertem Konsum, begibt sich allein auf sein letztes großes Abenteuer nach Südostasien - dem buddhistischen Thailand. Sehr bewusst bricht er alle Brücken kategorisch hinter sich ab, denn um unbekannte Gestade entdecken zu können, muss der Rückweg ausgeschlossen sein, lautet das Credo. In ausführlichen Retrospektiven sinniert er über seine ehemalige Heimat, die Illusionen einer für ihn gescheiterten Gesellschaft, die er mittlerweile verachtet, insoweit sie, die schlichten Konsumenten, die Tatsachenwahrheiten der historischen Entwicklung leugnen oder missdeuten. Der Buddhismus ermöglicht ihm einen unerwarteten Perspektivwechsel, eine diametrale Sichtweise zur abendländischen Kultur, einzigartig ist das Subjekt selbstverantwortlich für sein Dasein und die Errettung aus dem Leid, ein omnipotenter Schöpfer fehlt, eine Religion ohne Gotteswesen, dem gehuldigt werden muss. Insofern erscheint es keineswegs verwunderlich, dass die buddhistische Gemeinschaft ein dreigliedriges Geschlechtermodell anerkennt, etwa eine maskulin-nach-feminine Genderidentität - Ladyboy - dem Menschenwesen zugesteht, eine Freiheit, die in Gesellschaften mit anderen geographischen Koordinaten sanktioniert wird, eventuell zum Todesurteil ausarten kann. Der Wohlstand der westlichen Welt basiert auf der Freiheit der Gedanken, der Befreiung vom Joch der Autorität, den wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften von genialen Frauen und Männern, dem beharrlichen und furchtlosen Individuum, mitnichten politischen oder gar religiösen Ideen. Letztere zeichnen ausschließlich verantwortlich, dass immer wiederkehrende Katastrophen den europäischen Kontinent heimsuchten. Die empirische Methode, das wissenschaftliche Verfahren der Natur ihre Geheimnisse zu entlocken, erschütterte spektakulär mehrfach die Welt der Denker, das Staunen und die Faszination über die Lösungswege des Universums und das Mysterium, dass der Mensch das Ungeheuerliche, wovon er ein Teil ist, entdecken kann. Jedoch die Mehrheit der Bevölkerung konsumiert singulär die Resultate, ohne die wissenschaftlichen Revolutionen, das Unermessliche, zu reflektieren. Ganz im Gegenteil, ignorante Ideologie und naive Religiosität bestimmen vielfach den Alltag, eine Absurdität sondergleichen. Eventuell erreicht oder übersteigt die selbsternannte Krönung der irdischen Schöpfung augenblicklich den Zenit, die technologische Singularität, eine mögliche Option einer neuen dominierenden Spezies, der selbstoptimierenden Maschinenintelligenz offenlegt.