Seit den Überlegungen des Juristen, Mathematikers, Physikers und
Philosophen, des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, einem
Zeitgenossen Isaac Newtons, bietet es sich an, die Wahrheit in zwei
Kategorien zu klassifizieren: die Tatsachenwahrheit und die
Vernunftwahrheit, eine mögliche und eine garantierte Wahrheit.[1] (siehe
auch
Deduktion versus Induktion, Logik versus Kausalität respektive
Vernunftwahrheit versus Tatsachenwahrheit) Erstere, ebenfalls als kontingente Wahrheit bezeichnet, kann eine
herrschende Autorität allzu sehr in die Versuchung verführen, sie zu
instrumentalisieren, umzudeuten, zu verfälschen oder gar vollumfänglich zu
negieren, mithin zu zerstören. Mit dem zweiten Typus, der Vernunftwahrheit,
hat eine totalitäre Obrigkeit größere Schwierigkeiten zu überwältigen. Falls
ihr es gelänge, etwa den Satz des Pythagoras aus allen verfügbaren Quellen
zu entfernen, könnte dennoch ein schlauer Kopf, die Vermutung postulieren
und den Beweis führen, das heißt die unterdrückte Wahrheit wieder ans
Tageslicht fördern. Die Unterdrückung der Vernunftwahrheit in Gänze ist
insofern unmöglich, während die Tatsachenwahrheit immer der Gefahr
ausgesetzt sein wird, dass das Individuum ihrer nicht habhaft werden kann.
„Wir können uns durchaus vorstellen, dass die Entwicklung der neuzeitlichen
Wissenschaft von Galilei bis Einstein nicht stattgefunden hätte, wenn die
Machtvollkommenheit der katholischen Kirche absolut gewesen wäre“,
behauptete Hannah Arendt,[2]
korrespondierend galt für sie: „die Tatsachenwahrheit ist von Natur
politisch“, um daraus das Resümee zu ziehen: „Meinungsfreiheit ist eine
Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“[3]
Ein eindrucksvolles literarisches Beispiel entdeckt der Leser in
George Orwells Dystopie "1984". Die Mitarbeiter des
Wahrheitsministeriums beschäftigten sich damit die historischen
Tatsachenwahrheiten an die jeweilige aktuelle politische Entwicklung
anzupassen, Dokumente werden gefälscht oder vernichtet, so dass authentische
Unterlagen, zeitgeschichtliche Zeugnisse, fehlen, die Geschichtsschreibung
der politischen Willkür unterliegt, die Erinnerung und die Kultur liquidiert
ist: „Die Vergangenheit war ausradiert, und dann war sogar die Tatsache des
Radierens vergessen, die Lüge war zur Wahrheit geworden.“
[4] Zwei Beweggründe verortet Orwell in der
Manipulation der Historie. Die Autorität muss den Bürger zunächst von dem
dominierenden Gegenstand der überprüfbaren Realität, der kontingenten
Wahrheit, abtrennen, welcher sich in der Vergangenheit manifestiert,
infolgedessen fällt die Vergleichsmöglichkeit mit den gegenwärtigen
Lebensbedingungen weg, der Staatsbürger erduldet alsdann seine Situation
gehorsamer. Misslingt der Vergleich mit qualitativ anderen Verhältnissen,
hat die Autorität die Voraussetzungen geschaffen, kann sich zweitens mühelos
als unfehlbar und unangreifbar inszenieren.[5]
Empirische Wissenschaften, beispielsweise die Naturwissenschaften,
erringen Erkenntnisse durch die Beobachtung der natürlichen Gegebenheiten
oder vermöge einer definierten Fragestellung an die Natur. Letzteres, das
wohldurchdachte Experiment, erhielt, beginnend mit Galileo Galilei und seinen Fallexperimenten, Einzug in die Physik, entwickelte den
Grundstein zur modernen Experimentalphysik. Einerseits muss die
Messapparatur mit dem Gegenstand der Messung in Wechselwirkung stehen,
ansonsten misslingt ein Messergebnis unweigerlich, andererseits taucht die
Frage nach der Verfälschung oder der Echtheit des zu messenden Effektes
auf. In der Quantenmechanik, der abstrakten Betrachtung des Aufbaus der
Materie – im Gegensatz zur klassischen Physik, der makroskopischen
Betrachtungsweise –, kann die Wechselwirkung zwischen Apparatur und Objekt
der Messung prinzipiell mitnichten beliebig verringert werden, ein
Naturgesetz formuliert durch das Prinzip der Unschärfe nach Heisenberg.
Diese fundamentale Naturerscheinung etablierte, dass die Intuition des
Betrachters, resultierend aus der gewöhnlichen Alltagswelt, zur Illusion
degradiert ist. Die Essenz der quantenmechanischen Erkenntnis: die Logik
der Quantenmechanik, letztlich der Bausteine unserer Existenz, ist
unvereinbar mit der klassischen Logik.
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